Guttenberg gibt auf – auch weil Tausende Doktoranden ihm die Ausflüchte zu seiner umstittenen Doktorarbeit nicht durchgehen lassen wollten. „Wir haben verhindert, dass die Politik zur Tagesordnung übergeht“, sagt Tobias Bunde, Autor des Doktorandenbriefs. Und er verlangt: Die Kanzlerin soll sich erklären.
SPIEGEL ONLINE: Guttenberg ist zurückgetreten. Ist das auch ein Ergebnis Ihres offenen Briefes zur „Causa Guttenberg“ an die Bundeskanzlerin?
Tobias Bunde: Das war nicht unser Ziel, aber der Rücktritt ist richtig – auch wenn er viel zu spät kommt. Der Flurschaden in der deutschen Wissenschaftslandschaft ist und bleibt beträchtlich.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie stolz auf die große Zustimmung zu ihrem Brief und auf seine Wirkung?
Bunde: Wir sind stolz darauf, dass wir verhindert haben, dass einfach zur Tagesordnung übergegangen wurde, denn das hatte die Kanzlerin ja vor. Und ich bin begeistert von der Kraft des Internets, das ist ein Zeichen für die neue Politik, die unsere Generation macht.
SPIEGEL ONLINE: Mehr als 35.000 Menschen haben binnen vier Tagen Ihren offenen Brief an die Bundeskanzlerin unterschrieben.
Bunde: Das ist völlig verrückt. Wir dachten, es unterschreiben vielleicht ein paar hundert Leute.
SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie den offenen Brief verfasst, der Angela Merkel vorwirft, sie und ihre Mitdoktoranden zu verhöhnen?
Bunde: Gleich nach der aktuellen Stunde im Bundestag am Mittwoch. Ich und meine Freunde haben die Debatte im Fernsehen verfolgt und parallel gechattet – und wir haben die Welt nicht mehr verstanden: Wie Minister Guttenberg trotz bewusster Täuschung noch immer sagte, er habe nicht bewusst getäuscht. Jeder, der sich mit der Materie auseinandergesetzt hat, kann den Mann nicht mehr ernst nehmen. Donnerstagnacht haben wir den Brief dann auf die Webseite gestellt.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist das Schreiben direkt an Angela Merkel adressiert?
Bunde: Weil die Kanzlerin so tut, als handle es sich bei dem Plagiat von Guttenberg nur um eine Kleinigkeit. Besonders ärgerte uns ihr Satz, sie habe Guttenberg als Minister angestellt und nicht als wissenschaftlichen Assistenten. Da fühlen wir uns verhöhnt und persönlich angegriffen – als hätte unsere Arbeit, die wir als Doktoranden leisten, keinen Bezug zur realen Welt. Das ist keine Fußnote und keine Lappalie. Es geht um die politische Kultur in Deutschland, darum erwarten wir auch nach dem Rücktritt Guttenbergs eine klare Positionierung von der Kanzlerin.
SPIEGEL ONLINE: Sie und einige ihrer Mitstreiter studieren Politik – sind Sie wirklich überrascht, dass Merkel ihren Minister Guttenberg, das beste Pferd im Stall, nicht zur Schlachtbank geführt hat?
Bunde: Es mag aus kurzfristigem Kalkül heraus nachvollziehbar sein, an Guttenberg festzuhalten. Der Wissenschaftsstandort und das Ansehen Deutschlands aber nehmen dadurch großen Schaden. Wir kriegen inzwischen viele Solidaritäts-Adressen aus der ganzen Welt – sogar das Blog der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ hat schon über unseren Brief geschrieben und unterstützt uns.
SPIEGEL ONLINE: Aber bringt ein Brief an die Kanzlerin wirklich etwas?
Bunde: Ich bin sicher, dass auch der Rückhalt im Bildungsbürgertum für die Kanzlerin und den Minister schrumpfen wird, wenn sich mehr Menschen damit beschäftigen, was wirklich vorgefallen ist.
SPIEGEL ONLINE: Erst am Montag wagte sich Guttenbergs Doktorvater aus der Deckung, von den etablierten Wissenschaftsorganisationen war lange ebenfalls nichts zu hören.
Bunde: Stimmt, genau darum wollten wir kleinen Doktoranden mal ein Fähnchen hochhalten. Und daraus ist nun eine ziemlich große Fahne geworden. Die Großen im Wissenschaftsbetrieb haben sich zu spät gemeldet, da musste eben die Kleinsten das Heft in die Hand nehmen.
SPIEGEL ONLINE: Guttenbergs Anhänger sprechen von einer inszenierten Medienkampagne gegen einen Polit-Star.
Bunde: Viele haben den Fall einfach nicht verstanden. Außerdem ist Guttenberg gut darin, Prinzipientreue vorzuspielen – dabei widerspricht sein Verhalten den Werten, für die er angeblich steht. Viele denken, es ginge um ein kleines Versehen, um Fußnoten. Das ist nicht so: Es geht um massive Täuschung. Auch ein Minister muss da Konsequenzen ziehen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben 35.000 Unterschriften – aber die Guttenberg-Fanseite auf Facebook hat über 300.000 Anhänger. Hatten Sie mit denen schon Ärger?
Bunde: Es gab einige böse E-Mails. Wir sollten doch den einzigen vernünftigen Politiker in Ruhe lassen. Aber wir würden das bei einem SPD-Politiker genauso machen – und GuttenPlag Wiki ist dabei, auch die Arbeiten anderer Politiker zu durchleuchten. Da gibt es für uns keine parteipolitischen Präferenzen oder Rücksichtnahmen.
SPIEGEL ONLINE: Sie gehören auch keiner Partei oder einer Jugendorganisation einer Partei an?
Bunde: Nein, und wir wollen den Brief auch nicht als parteipolitisches Engagement verstanden wissen. Wir mischen uns einfach ein. Ich gehe zwar regelmäßig auf Demos, aber das war meine erste Internetaktion – und ich bin von der Wucht selbst noch recht überrascht.
SPIEGEL ONLINE: Wie arbeiten Sie die unerwartete Flut an Mails, Kommentaren und Unterschriften ab?
Bunde: Ich und drei Freunde sitzen hier beinahe rund um die Uhr an unsere Rechnern in der WG, mit einem Freund in Konstanz sind wir ständig in Kontakt. Wir haben nicht wirklich viel geschlafen, in den vergangenen drei Nächten.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sich als Internetaktivisten beschreiben?
Bunde: Eigentlich hatten wir von Internetdingen zu Anfang relativ wenig Ahnung. Ohne die Unterstützung der viele Leute, die aus dem Web auftauchten und einfach mitgemacht haben, hätten wir es nicht geschafft. Zum Beispiel hat sich ein Social-Media-Fachmann bei uns gemeldet und unsere Facebook-Seite aufgemöbelt. Und Debora Weber-Wulff (eine Berliner Professorin, die seit Jahren gegen Wissenschafts-Plagiate kämpft, A.d.R.) hat unseren Brief ins Englische übersetzt und weiterverbreitet.
SPIEGEL ONLINE: Wie erklärt Sie sich die Diskrepanz zwischen der Anti-Guttenberg-Haltung im Internet und der Zustimmung in den klassischen Meinungsumfragen, die in der vergangenen Woche sichtbar wurde?
Bunde: Das ist ein Problem der herkömmlichen Prognosen. Unsere Generation hat keine Faxgerät und oft kein Festnetz-Telefon, wir stimmen im Netz ab. Wenn 500 Leute über Festnetz-Telefone befragt werden, zweifle ich daran, dass so eine Umfrage repräsentative Ergebnisse liefern kann.
Das Interview führte Christoph Titz
Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,748251,00.html
Kommentar:
Herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg. Er zeigt, dass Politiker im Internetzeitalter nicht mehr tun und lassen können, was sie wollen.
Sie werden zur Rechenschaft gezogen. Auch die Kanzlerin!
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